Universität Konstanz, Deutschland Paolo Monti, Dollar Image, 1989 PAOLO MONTI VIERDIMENSIONAL²
UNIVERSITÄT KONSTANZ GALERIE AUF DER EMPORE
Ausgewählte Schriften zur Kunst von Paolo Monti



Über Vergänglichkeit
Nikolaus K.A. Läufer

Die künstlerische Arbeit Paolo Montis ist von besonderer Bedeutung für einen Ökonomen mit geldtheoretischen Interessen. Sein Werk enthält nicht nur faszinierende Symbole, sondern auch konkrete Hinweise für den ökonomischen Theoretiker.

Paolo Monti & Prof. Nikolaus K.A. Läufer, VIERDIMENSIONAL² UNIVERSITÄT KONSTANZ

1. Interpretation einer zerfallenden Dollar-Note

Das Dollar-Image mit George Washington ist ein Symbol, das verschiedene Interpretationen erlaubt. Jeder Betrachter wird sich seine eigene auswählen. Bei einer solchen Wahl spielen selbstverständlich das Alter und die Nationalität des Betrachters, sowie seine historische Erfahrung und sein politisches Bewusstsein eine entscheidende Rolle.

Eine fleckige, von Säure zersetzte Dollar-Note steht natürlich zunächst einmal für das beschädigte Bild, das sich die Welt von Amerika spätestens seit dem Vietnam-Krieg macht. Für einen patriotischen Amerikaner ist das Bild Ausdruck eines in der Welt weit verbreiteten Antiamerikanismus. Er fühlt sich an die amerikanische Flagge erinnert, die im Laufe der Jahre an vielen Plätzen der Erde verbrannt wurde. Für einen Amerikaner mit geldhistorischem Bewusstsein stellt sich das Bild als ein Symbol für den Verfall des heimischen Dollar-Geldwertes dar. Schliesslich hat die Währung der USA in den letzten 50 Jahren rd. 85 % ihres inneren Wertes verloren.

Meine eigene bevorzugte Interpretation des „Dollar-Image“ ist die des Symbols für den Niedergang des internationalen Währungssystems der Nachkriegszeit. Das Bretton-Woods System fester Wechselkurse endete im April 1973 mit dem Übergang der westlichen Industrieländer zu flexiblen Wechselkursen. Die Welt war nicht mehr bereit, sich mit US-Dollars überschwemmen zu lassen. Zu einer Dollarschwemme war es gekommen, weil der Vietnamkrieg auch mit der Notenpresse finanziert wurde und die amerikanische Zahlungsbilanz auch kriegsbedingt passiv war. Von den USA ging eine inflationäre Welle aus, die sich auf der ganzen Welt verbreitete. Es war die hohe Zeit des internationalen Monetarismus. Die Ökonomen sprachen von einer Dollar-bedingten Weltinflation und konstruierten Weltgeldmengen, um die Weltinflation zu erklären. Die Basis der Weltgeldmenge war die von den USA in Umlauf gesetzte Dollarmenge.

Die sich einstellende Weigerung der Welt, Papierdollars im Austausch gegen verzinsliche Wertpapiere und reale Güter entgegenzunehmen, ist selbstverständlich auch darauf zurückzuführen, dass 1971, also zwei Jahre vor dem Ende des Bretton-Woods Systems, die Umtauschbarkeit des US-Dollars in Gold, die für nichtamerikanische Notenbanken bestanden hatte, von Präsident Nixon formell eingestellt worden war (Schliessen des Goldfensters). De facto hatte die Goldkonvertibilität des Dollar schon Jahre vorher geendet. Die Welt war seit Jahren de facto auf einem reinen Dollarstandard. Die formale Golddeckung des Dollars war nicht mehr effektiv, sondern nur noch Ausdruck eines Aktes währungspolitischen window-dressings. Das Ende des Systems von Bretton-Woods bedeutete das Ende des Dollar-Standards.

Die tatsächliche historische Entwicklung hält sich allerdings nicht immer hundertprozentig an symbolische Vorgaben. Der Dollar ist seit dem Ende des Bretton-Woods Systems nicht von der internationalen ökonomischen Bildfläche verschwunden. Als internationales Geld ist er nach wie vor bedeutsam. Wir haben es gerade wieder zu spüren bekommen. Der Rohölmarkt benutzt den US-Dollar als Kontraktwährung, sodass jede Verteuerung des Dollars unsere Benzin-Preise und Öl-Heizungskosten in die Höhe treibt.

In jüngster Zeit nimmt der Dollar sogar einen erneuten unerwarteten Aufschwung. Verschiedene Länder haben Ihre eigene nationale Währung abgeschafft und den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt. Panama hat bereits 1904 den US-Dollar als nationale Währung angenommen. Ecuador hat diesen Schritt erst neulich, d.h. im Jahre 2000 vollzogen. El Salvador, Argentinien u.a. Länder, darunter auch solche des ehemaligen Ostblocks (z.B. die Ukraine), die in der jüngeren Vergangenheit von starken, hausgemachten Inflationen gebeutelt worden waren, überlegen sich, wie sie durch Übergang zum Dollar (als gesetzlichem Zahlungsmittel im eigenen Land) Stabilität erreichen können.

Amerikanische Politiker träumen gar von der Dollarisierung der ganzen Welt und versuchen dieser Welt den US-Dollar als Lösung ihrer Stabilitätsprobleme zu verkaufen. (Zu den aktiveren Teilnehmern an diesem Traum gehört der amerikanische Senator Connie Mack. Renommierte akademische Ökonomen, wie Richard Cooper, unterstützen diese Idee.) Es versteht sich von selbst, dass dies für die USA ein ausgesprochenes Geschäft wäre: Wertlsoses Papiergeld oder simple, kostenlose Eintragungen in Büchern oder Computer-Dateien im Austausch gegen reale Güter oder verzinsliche Zahlungsversprechen. Die sogenannten Seignorage-Gewinne würden künftig in Washington anfallen. Ein Resultat nach dem Motto: Man gebe denen, die bereits haben. Bis zu einem bestimmten Grade dürfte es sich bei diesen Aktivitäten auf amerikanischer Seite um Reaktionen auf die Einführung des Euros in Europa handeln. (In Europa ist in einigen exkommunistischen Ländern ein Wettbewerb zwischen dem Euro (davor der DM) und dem US-Dollar zu beobachten.)

2. Paolo Montis Bezug zu einigen Fragen der Geldtheorie

Inflation und Zusammenbrüche monetärer Systeme sind Zerfallserscheinungen, die im allgemeinen negativ bewertet werden. Es gibt aber auch geldtheoretische Positionen, welche den Geldwertschwund als positive Erscheinung werten. Schon lange vor der Weltwirtschaftskrise der dreissiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Vorstellung entwickelt, dass wirtschafliche Krisen und Depressionen durch unzureichende Güternachfrage zu erklären seien und dass man durch Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Güternachfrage solche Erscheinungen vermeiden könne.

Für das Ungenügen der Güter-Nachfrage wurde in manchen ökonomischen Zirkeln das Horten von Geld verantwortlich gemacht. Horten entzieht Geld dem aktiven Wirtschaftskreislauf. Es entstand eine Idee: Wenn das gehortete Geld systematisch an Wert verlöre, dann würde ein drohender Wertverlust des Geldes die Leute von der Geldhortung abhalten. Arbeitslosigkeit und konjunkurelle Abschwünge könnten dadurch vermieden werden. Als Urheber dieser Idee (Schwundgeldthese) gilt der Österreicher Silvio Gesell, ein erfolgreicher Kaufmann, der zuerst sein Geld in Südamerika gemacht hat. Schon vor seiner Rückkehr nach Europa beschäftigte er sich mit ökonomischen Fragen. (Schwundgeld ist Geld, welches nach einem vorgezeichneten Fahrplan seinen Wert verliert, wenn es nicht durch einen gebührenpflichtigen Stempel erneuert wird.)

Bis zur Weltwirtschaftskrise galt Sylvio Gesell in der ökonomischen Fachwelt als Spinner und Aussenseiter. Dies änderte sich jedoch schlagartig als John Maynard Keynes, 1936, sein bahnbrechendes Buch „Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ veröffentlichte, indem er im letzten Kapitel auf die Schwundgeldthese Gesells eingeht und sie als eine „gesunde“ Idee bezeichnet, deren Anwendung, mehr als die Ideen von Marx, zur Überwindung von Wirtschaftskrisen und zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit beitragen könne. Die Anhänger von Gesell fühlten sich durch die Keynesschen Ausführungen in den akademisch-ökonomischen Adelsstand aufgenommen. Und sie zehren noch heute davon, wie man den Internet-Seiten entnehmen kann, auf denen man den heutigen Kampf der Gesellianer um die weitere Verbreitung ihrer Ideen verfolgen kann. (Vor Keynes hatte, unter den akademischen Ökonomen, allein Irving Fisher, die Signifikanz der Gesellschen Schwundgeldidee anerkannt.)

Was hat das alles mit der künstlerischen Arbeit von Paolo Monti zu tun?

Paolo Monti ist kein Ökonom, er kannte die Schwundgeldthese Silvio Gesells bis vor kurzem nicht, er hat aber mit seinen Arbeiten unbewusst die Lösung für das Problem der Beseitigung eines Defektes der Schwundgeldidee von Gesell vorgelegt. Die chemischen Prozesse, denen Paolo Monti das Geld aussetzt und durch die das Geld schwindet und sich schliesslich vollständig auflöst, symbolisieren einen Geldwertschwund, wie er den Schwundgeldtheoretikern vorschwebt.

Der Hauptdefekt der Schwundgeldtheorie besteht darin, dass sie glaubt, von einer konstanten Schwundrate des Geldes einen dauerhaften Stimulus für die Güternachfrage erwarten zu können. Von einer konstanten Schwundrate des Geldes wird aber, wie wir heute wissen, tatsächlich kein permanenter Anstieg der Güternachfrage zu erwarten sein. Wenn die Rate des Geldwertschwundes von null auf einen positiven Wert erhöht wird, dann reduziert sich zwar die Nachfrage nach Geldbeständen unter das Niveau der vorhandenen Bestände. Es wird Geld enthortet. Der Abbau der Geldhorte wird allerdings nur solange anhalten bis die tatsächliche reale Geldhaltung jenes gewünschte Niveau erreicht hat, welches der neuen Schwundrate des Geldes entspricht. (Dabei gilt folgender Zusammenhang: je höher die Schwundrate des Geldes, desto niedriger ist die gewünschte Geldhaltung bzw. das Volumen der Geldhortung.)

Wenn man die Stimulierung der Güternachfrage dauerhaft machen will, dann darf man die Schwundgeldrate nicht konstant halten, sondern muss sie im Laufe der Zeit ständig erhöhen.

Die Geldzerfallsprozesse von Paolo Monti zeichnen sich dadurch aus, dass darin die Schwundrate (auch) vom Verhalten des Akteurs (Betrachters) abhängt. Die Schwundrate ist bei Monti nicht mehr exogen, sondern endogen. Der Betrachter beeinflusst sie. Durch Variation seines Abstandes vom Zerfallsprozess verlangsamt oder beschleunigt sich der Zerfallsprozess. Eine grössere Nähe des Betrachters zum Zerfallsprozess des Geldes, entspricht einer Intensivierung des Hortens (Abnahme des Enthortens). Der Zerfallsprozess beschleunigt sich im Zuge der Annäherung. Eine grössere Ferne des Betrachters zum Zerfallsprozess bedeutet eine Zunahme des Enthortens und verzögert den Zerfallsprozess. Paolo Montis Arbeiten stellen, jenseits aller Ästhetik, Modelle von Servomechanismen für das Enthorten dar, welche die stabilisierungspolitischen Nachteile einer exogenen, konstanten und vorhersehbaren Schwundrate nicht mehr kennen und überwunden haben.

Bedauerlicherweise haben die Anhänger von Silvio Gesell weder den systematischen Defekt ihrer These zur Kenntnis genommen, noch sind sie deshalb der Lösung des von Ihnen übersehenen Problems einen Schritt näher gekommen. (Dieser Defekt war übrigens auch J.M. Keynes unbekannt. Seine Kenntnis ist das Ergebnis neuerer Entwicklungen in der Makroökonomik, die von der monetaristischen und rationalen Erwartungs-Revolution ausgelöst wurden, und in den späten 60er Jahren des letzten Jahrhunderts begannen.) Die Gesellianer tendieren dazu, die akademische Welt für eine Verschwörung von böswilligen Ignoranten oder korrupten Dienern des Geld-Kapitals zu halten, welche die positiven Ergebnisse, die man mit der Umsetzung der Schwundgeldidee von Gesell in Österreich (in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts) gemacht hat, einfach nicht zur Kenntnis nehmen will. Dabei übersehen Sie, dass dieses empirische Beispiel eben auch nur die kurzfristige Wirksamkeit ihrer Idee belegen kann, weil das dahinterstehende Experiment nach kurzer Zeit wieder abgebrochen wurde. Ohne Abbruch des Experimentes wäre der oben beschriebene Defekt zum Vorschein gekommen. (Im Falle Österreichs hat die österreichische Zentralbank in dem Schwundgeldexperiment von Wörgl eine Beschneidung ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen gesehen und durch eine höchstrichterliche Entscheidung eine Beendigung des von ökonomischen Amateuren begonnen Experimentes erwirkt.)

Seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat der Keynesianismus an Boden verloren und mit ihm auch die Schwundgeldidee. Die Zerfallsprozesse von Paolo Monti stehen selbstverständlich auch für das Schicksal theoretischer und politischer Ansätze.

Prof. Dr. Nikolaus K.A. Läufer
Universität Konstanz,
December 17, 2000

 

 

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