1. Interpretation einer zerfallenden Dollar-Note
Das Dollar-Image mit George Washington ist ein Symbol, das verschiedene
Interpretationen erlaubt. Jeder Betrachter wird sich seine eigene auswählen. Bei
einer solchen Wahl spielen selbstverständlich das Alter und die Nationalität des
Betrachters, sowie seine historische Erfahrung und sein politisches Bewusstsein
eine entscheidende Rolle.
Eine fleckige, von Säure zersetzte Dollar-Note steht
natürlich zunächst einmal für das beschädigte Bild, das sich die Welt von
Amerika spätestens seit dem Vietnam-Krieg macht. Für einen patriotischen
Amerikaner ist das Bild Ausdruck eines in der Welt weit verbreiteten
Antiamerikanismus. Er fühlt sich an die amerikanische Flagge erinnert, die im
Laufe der Jahre an vielen Plätzen der Erde verbrannt wurde. Für einen Amerikaner
mit geldhistorischem Bewusstsein stellt sich das Bild als ein Symbol für den
Verfall des heimischen Dollar-Geldwertes dar. Schliesslich hat die Währung der
USA in den letzten 50 Jahren rd. 85 % ihres inneren Wertes verloren.
Meine eigene bevorzugte Interpretation des „Dollar-Image“ ist die des Symbols
für den Niedergang des internationalen Währungssystems der Nachkriegszeit. Das
Bretton-Woods System fester Wechselkurse endete im April 1973 mit dem Übergang
der westlichen Industrieländer zu flexiblen Wechselkursen. Die Welt war nicht
mehr bereit, sich mit US-Dollars überschwemmen zu lassen. Zu einer
Dollarschwemme war es gekommen, weil der Vietnamkrieg auch mit der Notenpresse
finanziert wurde und die amerikanische Zahlungsbilanz auch kriegsbedingt passiv
war. Von den USA ging eine inflationäre Welle aus, die sich auf der ganzen Welt
verbreitete. Es war die hohe Zeit des internationalen Monetarismus. Die Ökonomen
sprachen von einer Dollar-bedingten Weltinflation und konstruierten
Weltgeldmengen, um die Weltinflation zu erklären. Die Basis der Weltgeldmenge
war die von den USA in Umlauf gesetzte Dollarmenge.
Die sich einstellende Weigerung der Welt, Papierdollars im Austausch gegen
verzinsliche Wertpapiere und reale Güter entgegenzunehmen, ist
selbstverständlich auch darauf zurückzuführen, dass 1971, also zwei Jahre vor
dem Ende des Bretton-Woods Systems, die Umtauschbarkeit des US-Dollars in Gold,
die für nichtamerikanische Notenbanken bestanden hatte, von Präsident Nixon
formell eingestellt worden war (Schliessen des Goldfensters). De facto hatte die
Goldkonvertibilität des Dollar schon Jahre vorher geendet. Die Welt war seit
Jahren de facto auf einem reinen Dollarstandard. Die formale Golddeckung des
Dollars war nicht mehr effektiv, sondern nur noch Ausdruck eines Aktes
währungspolitischen window-dressings. Das Ende des Systems von Bretton-Woods
bedeutete das Ende des Dollar-Standards.
Die tatsächliche historische Entwicklung hält sich allerdings nicht immer
hundertprozentig an symbolische Vorgaben. Der Dollar ist seit dem Ende des
Bretton-Woods Systems nicht von der internationalen ökonomischen Bildfläche
verschwunden. Als internationales Geld ist er nach wie vor bedeutsam. Wir haben
es gerade wieder zu spüren bekommen. Der Rohölmarkt benutzt den US-Dollar als
Kontraktwährung, sodass jede Verteuerung des Dollars unsere Benzin-Preise und
Öl-Heizungskosten in die Höhe treibt.
In jüngster Zeit nimmt der Dollar sogar einen erneuten unerwarteten
Aufschwung. Verschiedene Länder haben Ihre eigene nationale Währung abgeschafft
und den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt. Panama hat bereits
1904 den US-Dollar als nationale Währung angenommen. Ecuador hat diesen Schritt
erst neulich, d.h. im Jahre 2000 vollzogen. El Salvador, Argentinien u.a.
Länder, darunter auch solche des ehemaligen Ostblocks (z.B. die Ukraine), die in
der jüngeren Vergangenheit von starken, hausgemachten Inflationen gebeutelt
worden waren, überlegen sich, wie sie durch Übergang zum Dollar (als
gesetzlichem Zahlungsmittel im eigenen Land) Stabilität erreichen können.
Amerikanische Politiker träumen gar von der Dollarisierung der ganzen Welt
und versuchen dieser Welt den US-Dollar als Lösung ihrer Stabilitätsprobleme zu
verkaufen. (Zu den aktiveren Teilnehmern an diesem Traum gehört der
amerikanische Senator Connie Mack. Renommierte akademische Ökonomen, wie Richard
Cooper, unterstützen diese Idee.) Es versteht sich von selbst, dass dies für die
USA ein ausgesprochenes Geschäft wäre: Wertlsoses Papiergeld oder simple,
kostenlose Eintragungen in Büchern oder Computer-Dateien im Austausch gegen
reale Güter oder verzinsliche Zahlungsversprechen. Die sogenannten
Seignorage-Gewinne würden künftig in Washington anfallen. Ein Resultat nach dem
Motto: Man gebe denen, die bereits haben. Bis zu einem bestimmten Grade dürfte
es sich bei diesen Aktivitäten auf amerikanischer Seite um Reaktionen auf die
Einführung des Euros in Europa handeln. (In Europa ist in einigen
exkommunistischen Ländern ein Wettbewerb zwischen dem Euro (davor der DM) und
dem US-Dollar zu beobachten.)
2. Paolo Montis Bezug zu einigen Fragen der Geldtheorie
Inflation und Zusammenbrüche monetärer Systeme sind Zerfallserscheinungen,
die im allgemeinen negativ bewertet werden. Es gibt aber auch geldtheoretische
Positionen, welche den Geldwertschwund als positive Erscheinung werten. Schon
lange vor der Weltwirtschaftskrise der dreissiger Jahre des vergangenen
Jahrhunderts hat sich die Vorstellung entwickelt, dass wirtschafliche Krisen und
Depressionen durch unzureichende Güternachfrage zu erklären seien und dass man
durch Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Güternachfrage solche
Erscheinungen vermeiden könne.
Für das Ungenügen der Güter-Nachfrage wurde in manchen ökonomischen Zirkeln
das Horten von Geld verantwortlich gemacht. Horten entzieht Geld dem aktiven
Wirtschaftskreislauf. Es entstand eine Idee: Wenn das gehortete Geld
systematisch an Wert verlöre, dann würde ein drohender Wertverlust des Geldes
die Leute von der Geldhortung abhalten. Arbeitslosigkeit und konjunkurelle
Abschwünge könnten dadurch vermieden werden. Als Urheber dieser Idee
(Schwundgeldthese) gilt der Österreicher Silvio Gesell, ein erfolgreicher
Kaufmann, der zuerst sein Geld in Südamerika gemacht hat. Schon vor seiner
Rückkehr nach Europa beschäftigte er sich mit ökonomischen Fragen. (Schwundgeld
ist Geld, welches nach einem vorgezeichneten Fahrplan seinen Wert verliert, wenn
es nicht durch einen gebührenpflichtigen Stempel erneuert wird.)
Bis zur Weltwirtschaftskrise galt Sylvio Gesell in der ökonomischen Fachwelt
als Spinner und Aussenseiter. Dies änderte sich jedoch schlagartig als John
Maynard Keynes, 1936, sein bahnbrechendes Buch „Die allgemeine Theorie der
Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ veröffentlichte, indem er im letzten
Kapitel auf die Schwundgeldthese Gesells eingeht und sie als eine „gesunde“ Idee
bezeichnet, deren Anwendung, mehr als die Ideen von Marx, zur Überwindung von
Wirtschaftskrisen und zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit beitragen könne. Die
Anhänger von Gesell fühlten sich durch die Keynesschen Ausführungen in den
akademisch-ökonomischen Adelsstand aufgenommen. Und sie zehren noch heute davon,
wie man den Internet-Seiten entnehmen kann, auf denen man den heutigen Kampf der
Gesellianer um die weitere Verbreitung ihrer Ideen verfolgen kann. (Vor Keynes
hatte, unter den akademischen Ökonomen, allein Irving Fisher, die Signifikanz
der Gesellschen Schwundgeldidee anerkannt.)
Was hat das alles mit der künstlerischen Arbeit von Paolo Monti zu tun?
Paolo Monti ist kein Ökonom, er kannte die Schwundgeldthese Silvio Gesells
bis vor kurzem nicht, er hat aber mit seinen Arbeiten unbewusst die Lösung für
das Problem der Beseitigung eines Defektes der Schwundgeldidee von Gesell
vorgelegt. Die chemischen Prozesse, denen Paolo Monti das Geld aussetzt und
durch die das Geld schwindet und sich schliesslich vollständig auflöst,
symbolisieren einen Geldwertschwund, wie er den Schwundgeldtheoretikern
vorschwebt.
Der Hauptdefekt der Schwundgeldtheorie besteht darin, dass sie glaubt, von
einer konstanten Schwundrate des Geldes einen dauerhaften Stimulus für die
Güternachfrage erwarten zu können. Von einer konstanten Schwundrate des Geldes
wird aber, wie wir heute wissen, tatsächlich kein permanenter Anstieg der
Güternachfrage zu erwarten sein. Wenn die Rate des Geldwertschwundes von null
auf einen positiven Wert erhöht wird, dann reduziert sich zwar die Nachfrage
nach Geldbeständen unter das Niveau der vorhandenen Bestände. Es wird Geld
enthortet. Der Abbau der Geldhorte wird allerdings nur solange anhalten bis die
tatsächliche reale Geldhaltung jenes gewünschte Niveau erreicht hat, welches der
neuen Schwundrate des Geldes entspricht. (Dabei gilt folgender Zusammenhang: je
höher die Schwundrate des Geldes, desto niedriger ist die gewünschte Geldhaltung
bzw. das Volumen der Geldhortung.)
Wenn man die Stimulierung der Güternachfrage dauerhaft machen will, dann darf
man die Schwundgeldrate nicht konstant halten, sondern muss sie im Laufe der
Zeit ständig erhöhen.
Die Geldzerfallsprozesse von Paolo Monti zeichnen sich dadurch aus, dass
darin die Schwundrate (auch) vom Verhalten des Akteurs (Betrachters) abhängt.
Die Schwundrate ist bei Monti nicht mehr exogen, sondern endogen. Der Betrachter
beeinflusst sie. Durch Variation seines Abstandes vom Zerfallsprozess
verlangsamt oder beschleunigt sich der Zerfallsprozess. Eine grössere Nähe des
Betrachters zum Zerfallsprozess des Geldes, entspricht einer Intensivierung des
Hortens (Abnahme des Enthortens). Der Zerfallsprozess beschleunigt sich im Zuge
der Annäherung. Eine grössere Ferne des Betrachters zum Zerfallsprozess bedeutet
eine Zunahme des Enthortens und verzögert den Zerfallsprozess. Paolo Montis
Arbeiten stellen, jenseits aller Ästhetik, Modelle von Servomechanismen für das
Enthorten dar, welche die stabilisierungspolitischen Nachteile einer exogenen,
konstanten und vorhersehbaren Schwundrate nicht mehr kennen und überwunden
haben.
Bedauerlicherweise haben die Anhänger von Silvio Gesell weder den
systematischen Defekt ihrer These zur Kenntnis genommen, noch sind sie deshalb
der Lösung des von Ihnen übersehenen Problems einen Schritt näher gekommen.
(Dieser Defekt war übrigens auch J.M. Keynes unbekannt. Seine Kenntnis ist das
Ergebnis neuerer Entwicklungen in der Makroökonomik, die von der
monetaristischen und rationalen Erwartungs-Revolution ausgelöst wurden, und in
den späten 60er Jahren des letzten Jahrhunderts begannen.) Die Gesellianer
tendieren dazu, die akademische Welt für eine Verschwörung von böswilligen
Ignoranten oder korrupten Dienern des Geld-Kapitals zu halten, welche die
positiven Ergebnisse, die man mit der Umsetzung der Schwundgeldidee von Gesell
in Österreich (in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts) gemacht hat,
einfach nicht zur Kenntnis nehmen will. Dabei übersehen Sie, dass dieses
empirische Beispiel eben auch nur die kurzfristige Wirksamkeit ihrer Idee
belegen kann, weil das dahinterstehende Experiment nach kurzer Zeit wieder
abgebrochen wurde. Ohne Abbruch des Experimentes wäre der oben beschriebene
Defekt zum Vorschein gekommen. (Im Falle Österreichs hat die österreichische
Zentralbank in dem Schwundgeldexperiment von Wörgl eine Beschneidung ihrer
verfassungsrechtlichen Kompetenzen gesehen und durch eine höchstrichterliche
Entscheidung eine Beendigung des von ökonomischen Amateuren begonnen
Experimentes erwirkt.)
Seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat der Keynesianismus an Boden
verloren und mit ihm auch die Schwundgeldidee. Die Zerfallsprozesse von Paolo
Monti stehen selbstverständlich auch für das Schicksal theoretischer und
politischer Ansätze.
Prof. Dr. Nikolaus K.A. Läufer
Universität Konstanz,
December 17, 2000 |